Waldpilz (Oktober 2000)
Seit einer Woche schon verfolge ich aufmerksam den Wetterbericht.
Jetzt sind nämlich die zwei Wochen im Jahr, wo die
Laubbäume optimal bunt sind, aber noch nicht so viele
Blätter verloren haben. Endlich verspricht man mir einen
sonnigen warmen Werktag (am Wochenende könnte man auf
Terrouristen treffen). Wohl einer der letzten schönen
Oktobertage.
Am frühen Mittag des nächsten Tages fahre ich nach
Hammerstein, einem kleinen Kaff am Mittelrhein, um auf dem dortigen
Rheinhöhenweg nach Rheinbrohl zu wandern. Unten am Rhein nehme
ich ein gutes einheimisches Pilzgericht zu mir und mache mich an den
Aufstieg.
Nicht lange und ich bin die 500 Meter (plus 140 Höhenmeter)
zur Ruine Hammerstein emporgestiegen. Da hier weder Parkplatz noch
Gastwirtschaft ist, kommt hier selten jemand hoch. Während ich
von einem Mauervorsprung auf das Rheintal unter mir schaue, setzt die
Wirkung der Pilze ein. Ist schon ein erhebendes Gefühl von der
tausendjährigen Reichsburg den Blick den Rhein rauf bis
Andernach und runter bis zur Goldenen Meile wandern zu lassen. Ich
quarze mir einen. Hupps, das war was viel! Mein Geist verwirrt sich.
Plötzlich steht ein Opa hinter mir (scheiße, ausgerechnet
jetzt). Ich wünsche einen guten Tag, ...er guckt mich an, als
käme ich von einem anderen Stern (Erdbewohner, ich komme in
friedlicher Absicht! Bring mich zu deinem Anführer!). Er schaut
sich die Ruinen an und verschwindet freundlicherweise wieder. Der
Pilz wird sehr stark und ich beschließe weiterzugehen um meine
Energien irgendwie einzusetzen.
Es geht zunächst wieder steil nach oben. Ich glaube, ich
hätte die folgenden 150 Meter Höhenunterschied in einem
Rutsch bewältigen können, soviel Power hatte ich, aber ich
machte vorsichtshalber mehrere Pausen (ich hatte das Gefühl, ich
könnte die Zeichen meines Körpers (Hilfe, röchel,
stop) nicht mehr recht deuten). Erst kam ich in einen Wald niedriger
Krüppeleichen. Ich setzte mich an den Rand des Weges und schaute
unter dem niedrigen Blätterdach den Hang hinunter. Sofort hatte
ich dieses seltsame mystisch-magische Gefühl, welches mich immer
überkommt wenn ich auf Pilz in einem Wald bin. Zwischen den
gelb-braunen Blättern sah man noch ein Stück Rhein
schillern. Ich stieg weiter auf und endlich war ich auf etwa 350
Meter Höhe.
Direkt vor mir am Hangrand reckte eine ausgewachsene Stieleiche
die siebenästige Krone in den Himmel. Gut 30m hoch stand sie
dort, majestätisch auf das Rheintal blickend. Unten gelb und zum
Wipfel hin rostrot werdend. Ich stand da, mit offenen Mund, als
hätte ich noch nie einen Baum gesehen.
Überwältigend!
Hölderlin über die Eichen:
"...Aber ihr, ihr Herrlichen! steht wie ein Volk von
Titanen
in der zahmeren Welt, und gehört nur euch und dem Himmel,
der euch nährt und erzog, und der Erde, die euch
geboren..."
Klingt vielleicht ein wenig schwülstig, kommt aber meinen
Gefühlen zu diesem Zeitpunkt nahe...
Als ich mich nach einiger Zeit von dem Anblick lösen konnte,
schlenderte ich weiter durch einen Eichen-Buchen-Wald. Ich hatte die
Sonne schräg im Rücken und das
grün-gelb-braun-bronze-rot des Waldes war bezaubernd
schön.
Dann stand ich vor einer mächtigen königlichen Buche.
Drumherum die Buchengefolgschaft. Dicht grün-gelb belaubt, kaum
Sonnenstrahlen auf den Boden lassend, kam ich mir hier vor, wie in
einer Kathedrale. Diese Buchen waren viel sanfter als die knorrigen
Eichen. Es heißt, "die Buche habe Größe, die
Eiche Macht. Die Buche sei die Waldkönigin, die Eiche der
Waldkönig". Ja, das kann ich nachvollziehen! Andächtig
zog ich weiter, nachdem ich mich satt gesehen hatte.
Plötzlich lag vor mir auf freiem Feld ein Bauernhof. Erst wie
ein scheues Tier zurückschreckend, gab ich mir dann doch einen
Ruck und ging weiter. Kein Mensch zu sehen. Prima! Man merkte das man
hier schon ziemlich hoch war, denn man konnte weit über den
Westerwald und die Eifel sehen. Außer dem Wind war hier nichts
zu hören. Der Hofhund im Zwinger gab keinen Ton von sich,
beobachtete mich aber genau. Jede der etwa dreißig Kühe
auf der Wiese glotze mich an. Seltsames Gefühl!
Hinter dem Gehöft bog der Rheinhöhenweg nach links ab in
einen knallbunten Eichenwald. Der Weg lief die ganze Zeit an einem
Südwesthang lang. Es war wunderschön, staunend durch den
warmen lichten Eichenhangwald zu spazieren. Es kam viel Sonne durch
die Bäume und alles war ein einziges Farbenspiel. Ich kann mich
noch an eine Herde ganz junger Eichen erinnern, die sich neugierig
dicht an den Weg drängten. Unten noch grün, dann ins gelb
übergehend und oben knallrot. Mir ging das Herz auf, als ich sie
dort sah, wie sie sich leicht im Wind wiegten...
Oft kam man an besonders mächtigen Eichen vorbei. Um die
30-35 Meter hoch, gerade ausgewachsen, doch kaum älter als 100
Jahre. Eigentlich noch junge Burschen. Ich blieb hier und da stehen
und schaute mir manchen Baum lange an. Ich fragte mich manchmal, ob
ich je was schöneres gesehen habe (und welchen Grund es geben
könnte, mich hier jemals vom Fleck zu bewegen). Kein Baum sah
wie die vorherige aus, jeder eine eigene Persönlichkeit.
Erhabene Geschöpfe!
Eine bodenlose Unverschämtheit, das ein Bauer oder
Forstbeamter hier irgendwann mal mit seinem verbeulten VW-Kombi
hält, einen Baum abschätzend von oben bis unten anschaut
und ihn auf soundsoviel Festmeter für soundsoviel DM taxiert
(naja, zum Glück ist der Holzpreis im Augenblick ziemlich
niedrig)!
Nur einmal kamen mir leichte Bedenken bei der Wegführung,
ansonsten ist der Weg klar ausgeschildert und auch für
temporär geistig Behinderte einwandfrei auszumachen. Und obwohl
ich normalerweise ein verhältnismäßig geübter
Kartenleser bin, war der nachfolgende Blick auf die Karte gar nicht
so einfach (uh, das ist eine Karte? Wie rum hält man die? Wo bin
ich hier?). Wo ich schon mal saß, beschloß ich an diesem
heimeligen Plätzchen auch noch einen zu quarzen. Das machte die
Sache mit der Karte allerdings nicht einfacher...
Die Sonne neigte sich schon bedenklich, als ich wieder auf eine
Freifläche mit vereinzelten Häusern kam. Auf der
"Straße" begegneten mir insgesamt drei Autos (eines
zweimal). Das waren übrigens die einzigen Menschen, denen ich -
bis auf den Opa auf der Ruine Hammerstein - begegnet bin. Es ging
wieder runter. Am Annahof muß man durch den Hof (Vorsicht
Falle) auf einen unscheinbaren Feldweg um zum Rheinbrohler Ley zu
kommen.
Plötzlich steht man auf dem Ley und 150 Meter direkt unter
dir fließt der Rhein mit kleinen Modellschiffchen drauf. Wie
ein ungeheurer Riß liegt der Rheingraben in der Landschaft. Der
geschäftige Lärm der Züge und Autos schallt einem
entgegen. Drüben liegt die Ruine Hammerstein im Dunst, von dort
bin ich vor mehreren Jahrhunderten aufgebrochen. Auf der anderen
Seite liegt das Dörfchen Rheinbrohl zu meinen Füßen.
Ein Güterzug fährt vorbei. Ich verspüre Lust mit den
Waggons zu spielen oder die Häuschen zu versetzen, wie
früher auf der Modelleisenbahn. Ich schaue mir den
Sonnenuntergang an. Dann gehe ich auf Pfaden runter zu Rheinbrohler
Bahnhof.
Was für ein fantastischer Herbsttag! Obwohl ich mir diese
Herbstreisen alle paar Jahre gönne, bin ich doch jedesmal
überwältigt!
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